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Ahmet Sinoplu im Gespräch mit Dr. Anna Punke-Dresen

Wer steckt hinter dieser neuen Rubrik und was möchte sie für einen Mehrwert bieten?

Portraits über Menschen im gemeinnützigen Bereich findet man auch an anderer Stelle. Wir erinnern uns zum Beispiel an die „Köpfe“ in der Stiftungsbeilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit dieser Rubrik „Mensch des Monats“ möchten wir Menschen hinter einer Führungsposition besser kennenlernen. Dafür hat Dr. Anna Punke-Dresen diese Rubrik ins Leben gerufen.


Anna Punke-Dresen ist selbst seit über 15 Jahren in diversen Funktionen und Kontexten sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich im gemeinnützigen Sektor unterwegs - unter anderem als stellvertretende Leiterin des Kreises Junge Menschen und Stiftungen, Community Lead für MentorMe, Vorständin von Hamburger mit Herz e.V. und seit 2023 Leitung Fundraising der Abteilung Engagement & Partnerschaften bei der Hamburger Kunsthalle in Doppelspitze.


Schreiben und gemeinnütziges Engagement sind die beiden Pfeiler, die ihren Werdegang prägen.

Mit dieser monatlichen Rubrik möchte sie einige spannende Personen aus ihrem Netzwerk in persönlichen Gesprächen fragen, wie und warum sie sich selbst im gemeinnützigen Bereich engagieren. Welche Ehrenämter werden zusätzlich zum Hauptamt gepflegt? Was treibt sie dazu an? Was bedeutet Engagement für sie und welche Learnings und Botschaften bringt das für sie mit?

 
Carola von Peinen

Ahmet Sinoplu arbeitet neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer bei Coach e.V. als Trainer und Berater, insbesondere zu den Themen Diversität, Diskriminierung, Rassismuskritik, Empowerment und Internationale Mobilität. Er wirkte europaweit als Trainer und Bildungsreferent für diversitätsbewusste internationale Jugendarbeit. Zuletzt hat er als Projektmanager bei der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke gGmbH in Düsseldorf (Eine Initiative der Stiftung Mercator) und als freiberuflicher Projektreferent bei der Robert-Bosch-Stiftung gearbeitet.

 

Lieber Ahmet Sinoplu, ich möchte in dieser Rubrik jedem*r Interviewpartner*in die gleiche Einstiegsfrage stellen: Wann und wo haben Sie sich zum allerersten Mal ehrenamtlich engagiert? Wie kamen Sie dazu und was war Ihre Motivation dahinter?


Als Klassen- und Schülersprecher war ich sehr früh schon ehrenamtlich aktiv und habe mich gemeinsam mit anderen für unsere Belange und Interessen eingesetzt. Es war eine großartige Gelegenheit, demokratische Prozesse zu lernen, Selbstwirksamkeit zu erfahren und unsere Interessen zu vertreten.

 

Schließlich war ich in meiner Jugend auch ehrenamtlich in diversen Jugendeinrichtungen tätig und habe sehr früh als Jugendleiter Veranstaltungen mitorganisiert, war aktiv bei Ferienfreizeiten für Kinder und Jugendliche engagiert und habe diverse internationale Begegnungsprojekte gestaltet. Seit meiner Jugend bin ich in unterschiedlichen Organisationen ehrenamtlich aktiv.


Sie sind Diplom-Sozialarbeiter und Trainer für rassismuskritische und diversitätsbewusste (internationale) Bildungsarbeit. Wie sind Sie zu Coach e.V. gekommen?


In dem Modellprojekt „Interkulturelles Lernfeld Schule“ habe ich diverse Schulen in ihrer Organisationsentwicklung begleitet. Neben internationalen Austauschprojekten war auch das Thema interkulturelle Sensibilisierung und Elternarbeit sehr relevant. Im Rahmen meiner Recherchen bin ich auf Coach e.V. gestoßen und war begeistert vom Team und dem pädagogischen Ansatz, sodass eine enge Zusammenarbeit entstanden ist. Wir haben gemeinsam Fortbildungen für Lehrer*innen umgesetzt und Schulen begleitet. Schließlich habe ich das Angebot und die Gelegenheit ergriffen, mich ehrenamtlich im Vorstand zu engagieren. Als der Vereinsgründer Mustafa Bayram in Rente gegangen ist, habe ich die Geschäftsführung übernehmen dürfen und leite seit knapp 10 Jahren gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen die Geschicke des Vereins.


Coach e.V. setzt sich für Bildungsgerechtigkeit und Teilhabechancen ein. Wie macht der Verein das? Welche Projekte und Netzwerke habt ihr?


Unser Verein ist seit 2004 Jahren als Migrant*innenselbstorganisation und Träger der Jugendhilfe aktiv in Köln. Als außerschulischer Bildungsträger wirken wir mittlerweile in fünf Stadtteilen und sind für Kinder und Jugendliche sowie ihre Eltern vielfältig engagiert. Wir unterstützen Kinder und Jugendliche in ihrer persönlichen Entwicklung und Lebensplanung. Schwerpunkte der Arbeit sind die Bereiche Beratung, Elternarbeit, bildungs- und themenorientierte Gruppenarbeit, Hausaufgabenhilfe, Lernförderung, Sprachförderung, Berufswahlorientierung, Bewerbungshilfen und Freizeitangebote. Für den Erfolg der Arbeit ist es unverzichtbar, dass die Eltern aktiv beteiligt werden, wenn Kinder und Jugendliche in Schule und beruflicher Bildung gezielt gefördert werden sollen. Insofern ist das systematische Ineinandergreifen von Angeboten der Jugend- und Elternarbeit als Qualitätsmerkmal des Konzepts von Coach e.V. besonders hervorzuheben.

 

Wir sehen Vielfalt als gesellschaftliche Normalität und verstehen unsere Zielgruppen als einen selbstverständlichen Teil der Gesellschaft. Coach e.V. verpflichtet sich einem Leitbild der Solidarität, Emanzipation und Verantwortung, um nachfolgenden Generationen freie Entfaltungsmöglichkeiten und Gestaltungsräume unabhängig von Herkunft, Nationalität, Geschlecht, sexueller Orientierung oder sozialem Status zu ermöglichen. Jeder junge Mensch verdient die Möglichkeit seine Träume zu verwirklichen. Indem wir Menschen mit erschwertem Zugang zu Bildung darin unterstützen, ihre Potenziale zu entfalten, tragen wir einen wichtigen Schritt zu mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit in Deutschland bei.

 

Im Team werden mehr als zehn verschieden Sprachen gesprochen, wodurch diverse Zielgruppen erreicht werden können. Durch unser gemeinwesenorientiertes Wirken an allen Standorten wird ein besonderer Ort der interkulturellen und diversitätsorientierten Begegnung geschaffen.

 

Wir sind in Köln in verschiedenen Netzwerken und Arbeitskreisen, wie z.B. als Teil der Interkulturellen Zentren der Stadt Köln oder auch als House of Ressources, aktiv und engagieren uns auch landes- und bundesweit, um für die Belange der Kinder und Jugendlichen zu kämpfen. Hierbei unterstützen uns diverse Mitgliedschaften in Dachorganisationen wie z.B. der Paritätische NRW und das Paritätische Jugendwerk, das Elternnetzwerk NRW sowie auch die neuen deutschen Organisationen.


Was habt ihr seit der Gründung geschafft, was würdet ihr gerne in den nächsten 20 Jahren erreichen?


Seit unserer Gründung haben wir viele verschiedene Meilensteine erreicht und auch Anerkennung für unsere Arbeit erhalten. Zunächst als kleine Kölner Initiative für Bildung und Integration junger Migrant*innen gestartet, sind wir mittlerweile eine anerkannter Kooperationspartner vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie auch von zahlreichen Schulen. Mit unserer Coach Akademie - Akademie für diskriminisierungssensible Bildungsräume - schaffen wir Erfahrungs- und Bildungsräume zu praxisrelevanten Themen diversitätsbewusster Jugend- und Elternarbeit. Mit unserer Studie und dem Projekt „Labor für Empowerment, Resilienz

und solidarisches Handeln“ sind wir auch ein Partner von Stiftungen, die im Kontext diversitätsorientierter Organisationsentwicklung wirken.

 

Aktuell begleiten wir im Bundesprogramm "Gesellschaftlicher Zusammenhalt – Vor Ort. Vernetzt. Verbunden." des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mit der „Projektschmiede“ Mitarbeitende neuer, bislang wenig etablierter Vereine und gemeinnütziger Gesellschaften, die Unterstützung bei der Konzeption einer Projektidee benötigen oder vertieftes Wissen im Bereich der vom Bund geförderten Projektarbeit erlangen möchten. Langfristiges Ziel des Programms ist es, in Städten und Gemeinden ein tolerantes und wohlwollendes Miteinander zu unterstützen, indem Teilhabe- und Partizipationsmöglichkeiten von Menschen mit Migrationshintergrund verbessert und freiwilliges Engagement gestärkt werden.

 

Für die umfassenden Angebote unserer Arbeit wurde Coach e.V. bereits mehrfach ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr haben wir den Bilz Preis in Köln erhalten.

 

Für das besondere Konzept und sein Engagement erhielt der Vereinsgründer, Mustafa Bayram, 2007 den Freiherr-vom-Stein-Preis, 2013 das Bundesverdienstkreuz und 2019 den Landesverdienstorden NRW.

 

Der größte und nachhaltigste Meilenstein ist die konkrete Arbeit mit den Kindern, Jugendlichen und Familien, die tag täglich und auch über mehrere Jahre unsere Angebote nutzen. Schließlich engagieren sich auch viele Ehemalige ehrenamtlich, wie z.B. zwei ehemalige Schüler*innen, die nun aktiv im Vorstand mitwirken.

 

Was sind für Sie die dringendsten Herausforderungen?


In Bezug auf Bildungsgerechtigkeit und Teilhabechancen gibt es mehrere dringende Maßnahmen, die ergriffen werden sollten. Dazu zählen Investitionen in Programme für frühkindliche Bildung, um sicherzustellen, dass alle Kinder unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund einen guten Start ins Leben haben. Zudem ist es ist wichtig sicherzustellen, dass alle Schulen, unabhängig von ihrer Lage oder ihrer Schülerschaft, über ausreichende Ressourcen verfügen. Dies umfasst angemessene finanzielle Mittel, qualifizierte Lehrkräfte, moderne Lehrmittel und Infrastruktur. Hier gibt es noch einige Baustellen, die in Zukunft noch krasser wirken werden, wenn wir die PISA Ergebnisse sowie den Fachkräftemangel berücksichtigen.

 

Programme zur Förderung von Chancengleichheit sollten gezielt auf benachteiligte Gruppen abzielen. Hier Bedarf es einer Strukturförderung von Organisationen, die in diesem Wirkungsfeld wirken. Aktuell müssen wir jährlich um die Finanzierung notwendiger und etablierter Programme kämpfen, da Förderungen nur begrenzt und projektbasiert umgesetzt werden. Wenn wir nicht auch Stiftungen als Förderpartner*innen sowie auch weitere Spender*innen hätten, wäre unsere Arbeit kaum umsetzbar, obwohl die Nachfrage größer denn je ist.

 

Ein weiteres Thema ist der Zugang zu digitalen Technologien. Trotz der Corona-Zeit und den entsprechenden Entwicklungen ist hier noch großer Bedarf, wenn wir Bildungsgerechtigkeit ernst meinen. Hier ist ein Paradigmenwechsel notwendig, wenn die Digitalisierung nicht sogar die Schere zwischen gut und schlecht ausgebildeten jungen Menschen immer weiter auseinanderklaffen lassen soll.

 

Um Empowerment und Selbstwirksamkeit zu unterstützen, muss früh Partizipation und Mitbestimmung gefördert werden. Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche in den Bildungsprozess einbezogen werden und die Möglichkeit haben, ihre eigenen Interessen zu artikulieren, Ziele zu setzen und an Entscheidungen teilzunehmen, die ihr Leben betreffen. Hierbei helfen Programme zur Stärkung des Selbstvertrauens und der Selbstwirksamkeit, wo die Persönlichkeitsentwicklung unterstützt wird.

Es geht darum, den Bildungsbegriff weiter zu fassen und die Förderung von Fähigkeiten und Interessen sicherzustellen. Es braucht (außerschulische) Orte, wo Kinder und Jugendliche, die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten und Interessen zu entdecken und zu entwickeln. Dies kann durch vielfältige außerschulische Aktivitäten, kreative und sportbasierte Projekte sowie Programme zur politischen, kulturellen und digitalen Bildung geschehen.

 

Wenn zudem Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Gründen Diskriminierung und Ausgrenzung erleben, ist wichtig, diese dabei zu unterstützen, mit Herausforderungen und Rückschlägen umzugehen und Resilienz zu entwickeln. Programme zur Förderung von Resilienz und Stressbewältigung können dabei helfen, dass Betroffene trotz Schwierigkeiten ihr Selbstvertrauen behalten und weiterhin nach ihren Zielen streben.

 

Gleichzeitig ist es notwendig, dass Organisationen und Fachkräfte sich zu Themen wie Diversität, Diskriminierung, Rassismuskritik und Chancengerechtigkeit fortbilden und professionalisieren. Hier ist noch viel Aufholbedarf.


Wie beobachten Sie die Auseinandersetzung mit diesen Themen im gemeinnützigen Bereich?


Der gemeinnützige Bereich ist sehr divers aufgestellt. Während es viele Organisationen gibt, die die Diskurse um Chancen- und Bildungsgerechtigkeit diskriminierungssensible mitgestalten, gibt es leider noch viele Organisationen, die diverse Diskriminierungsformen wie Klassismus und Rassismus nicht mitdenken. Die Folgen von Corona, Inflation und weiteren Krisen sowie auch der Rechtsruck in der Gesellschaft zeigen auf, dass wir als Gesellschaft und auch die Politik noch viel zu tun haben, wenn wir die demokratische und offene Gesellschaft verteidigen wollen.

 

Gleichzeitig sind alle auch von den prekären Rahmenbedingungen in der Sozialen Arbeit betroffen und kämpfen um das finanzielle überleben, sodass wir hier ein strukturelles Problem haben, was ebenfalls gesellschaftlich und politisch gelöst werden muss. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen blicke ich pessimistisch in die Zukunft, obwohl ich aus meiner Profession und Haltung heraus Zwangsoptimist bleiben möchte. Hier müssen wir die Kräfte bündeln.

 

Der gemeinnützige Bereich kann hier als Partner und Teil der Lösung mitwirken, wenn entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden.

 

Und zum Schluss: Drei Antworten in je einem Satz!


Welches Buch haben Sie bezüglich Ehrenamt oder Engagement gelesen, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?

Mich hat das Buch „Geben mit Vertrauen: Wie Philanthropie transformativ wird.“ von Ise Bosch, Claudia Bollwinkel, Michael Alberg-Seberich und Eisfeld Justus nachhaltig bewegt. Es handelt davon, wie Geld und die damit verbundenen Privilegien und Macht so eingesetzt werden können, dass ein tiefgehender sozialer Wandel möglich wird.

 Wir alle können mehr für eine offene und demokratische Gesellschaft geben. Neben Geld ist auch unsere Zeit, das ehrenamtliche Engagement, kostbar und notwendig für den gesellschaftlichen Wandel und mehr Chancengerechtigkeit.


Wenn Sie einen Wunsch für den gemeinnützigen Sektor frei hätten, welcher wäre das?

Ich würde mir wünschen, dass die Finanzierung des gemeinnützigen Sektors einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft erhält und entsprechend Strukturen geschaffen werden können, was ein nachhaltiges Engagement ermöglicht.


Was möchten Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg geben? Was ist Ihr Credo?

Wir sind alle sehr privilegiert, wenn wir ehrlich drauf blicken und die Privilegien auch als solche wahrnehmen. Diese Privilegien sind nicht aus eigener Kraft hart erarbeitet oder eine persönliche Leistung, sondern haben auch mit unserer gesellschaftlichen Stellung zu tun. Wir haben unterschiedliche Startbedingungen, sodass wir unterschiedliche Zugänge auf ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital haben. Wünschenswert wäre es, wenn wir unsere Möglichkeiten und Macht mit anderen teilen würden, damit noch mehr Menschen tatsächlich davon profitieren können und in unserem Fall Bildungs- und Chancengerechtigkeit für noch mehr Kinder und Jugendliche möglich wird.

 
Carola von Peinen

Ahmet Sinoplu

Geschäftsführer

Coach e.V.

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