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Dara Kossok-Spieß im Gespräch mit Dr. Anna Punke-Dresen

Wer steckt hinter dieser neuen Rubrik und was möchte sie für einen Mehrwert bieten?

Portraits über Menschen im gemeinnützigen Bereich findet man auch an anderer Stelle. Wir erinnern uns zum Beispiel an die „Köpfe“ in der Stiftungsbeilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit dieser Rubrik „Mensch des Monats“ möchten wir Menschen hinter einer Führungsposition besser kennenlernen. Dafür hat Dr. Anna Punke-Dresen diese Rubrik ins Leben gerufen.


Anna Punke-Dresen ist selbst seit über 15 Jahren in diversen Funktionen und Kontexten sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich im gemeinnützigen Sektor unterwegs - unter anderem als stellvertretende Leiterin des Kreises Junge Menschen und Stiftungen, Community Lead für MentorMe, Vorständin von Hamburger mit Herz e.V. und aktuell als Leitung Fundraising der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch.


Schreiben und gemeinnütziges Engagement sind die beiden Pfeiler, die ihren Werdegang prägen.

Mit dieser monatlichen Rubrik möchte sie einige spannende Personen aus ihrem Netzwerk in persönlichen Gesprächen fragen, wie und warum sie sich selbst im gemeinnützigen Bereich engagieren. Welche Ehrenämter werden zusätzlich zum Hauptamt gepflegt? Was treibt sie dazu an? Was bedeutet Engagement für sie und welche Learnings und Botschaften bringt das für sie mit?

 
Carola von Peinen

Dara Kossok-Spieß ist Leiterin des Bereichs Digitalisierung und Netzpolitik im Handelsverband Deutschland e.V. (HDE), zudem ist sie Co-Gründerin der SWANS Initiative und Fraktionsvorsitzende der BVV Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen Berlin-Spandau.






 

Liebe Dara, ich möchte in dieser Rubrik jedem*r Interviewpartner*in die gleiche Einstiegsfrage stellen: Wann und wo hast Du Dich zum allerersten Mal ehrenamtlich engagiert?


Ich engagiere mich gefühlt seit den Windeln ehrenamtlich. Meine Mutter ist immer gesellschaftlich und kulturell sehr aktiv gewesen. Ob Straßenfest oder Kinderbastelgruppe – sie war immer in der ersten Reihe. Und ich war automatisch dabei. So habe ich mich bereits mit 12-13 Jahren dann in unterschiedlichen Integrations- und Nachbarschaftsvereinen ehrenamtlich als „Mädchen für alles“ engagiert. Da ich es nicht anders kennengelernt habe, gab es keinen Weg daran vorbei, sich auch im Erwachsenenalter weiter zu engagieren.


Du hast im Bereich Digitalisierung einen bewegenden Lebenslauf. Was treibt Dich hinsichtlich des Themas beim Handelsverband gerade um, was waren Deine Ambitionen, als Du dort angefangen hast? Ws hast Du davon bisher erreicht und umsetzen können?


Als ich aus der schnelllebigen Verlagsbranche in einen hundertjährigen Verband gewechselt bin, habe ich meine Möglichkeiten komplett unterschätzt. Meine Ambitionen waren vor allem beruflicher Natur. Ich wollte meine Expertise im Bereich Digitalisierung anwenden und ausbauen, ich wollte meinen Status als Expertin etablieren und mir ein funktionierendes Netzwerk aufbauen. Ich habe mich vorgetastet und gemerkt, dass sich vieles mehr über die beruflichen Ambitionen hinaus erreichen lässt. Sowohl beim Thema Digitalisierung, das so viel mehr ist als Technologie und Code, sondern auch hinsichtlich digitaler Gesellschaft und die Frage, wie wir in Zukunft einkaufen, kommunizieren und miteinander leben wollen. Als auch bei anderen Themen, die mich bewegen, wie Diversity.

So konnte ich die Digitalisierung für kleine Unternehmer*innen vorantreiben und starke Kooperationspartner gewinnen. Außerdem habe ich die Diversity Offensive gegründet und die erste Diversity Studie des Deutschen Handels publiziert.


Wie erlebst Du den Handelsverband als Wirtschaftsverband hinsichtlich der Umsetzung von aktuellen Megatrends wie Digitalisierung im Vergleich zu gemeinnützigen Organisationen? Was können die beiden Bereiche voneinander lernen?


Mein Motto ist: Nur gemeinsam sind wir stark. Die Digitalisierung in Deutschland ist oftmals ein Fluss, der von einem riesigen Stein blockiert wird. Ein Stein voller Zweifel, Pfadabhängigkeiten und dem Satz „das haben wir schon immer so gemacht“. Um den Stein aus dem Weg und den Fluss in Gang zu bringen, müssen alle Akteure zusammenarbeiten: die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Politik und die Wissenschaft. Nur dann haben wir die nötigen Hebel für den mentalen Wandel, der mit dem technologischen Wandel einhergeht.


„Hier können wir als Verbände von den gemeinnützigen Organisationen lernen, wie man gesellschaftliche Trends frühzeitig erkennt, wie man breite gesellschaftliche Gruppen aktiviert und co-kreativ an der Basis arbeitet. Als Verbände sind wir hingegen sehr gut darin, die komplexen technischen Themen in den nicht weniger komplexen legislativen Prozess einzubringen. Wie schnell würde das tosende Wasser der Digitalisierung in Bewegung kommen, wenn wir diese Stärken vereinen würden?!“

Willst Du uns etwas zur SWANS Initiative erzählen? Was war der Grund der Gründung für Dich und was hast Du damit vor?


Die SWANS Initiative ist eine gemeinnützige Organisation, die sich ehrenamtlich dafür einsetzt, dass im deutschsprachigen Raum aufgewachsene Studentinnen und junge Akademikerinnen mit Migrationsgeschichte und Women of Color die Jobs erhalten, die sie sich verdient und erarbeitet haben. Die Förderung unserer „Schwäne“ umfasst unter anderem ein berufliches Weiterbildungsangebot, systemisches Coaching, einen Bewerbungscheck, Mentoring sowie umfangreiche Netzwerk- und Alumnaearbeit.

Mir war es schon immer sehr wichtig, Diversität intersektional zu denken. Vor allem als Berufseinsteigerin mit Migrationsgeschichte und Erstakademikerin konnte ich mich in reinen „Frauennetzwerken“ mit meiner Biografie und Herausforderungen oftmals nicht wiederfinden. Natürlich bewegte mich das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ oder „Finde deine berufliche Vision“. Aber viel eher hatte ich mit sehr viel alltäglicheren Fragen rund um den Berufseinstieg zu kämpfen. Wie komme ich an einen Job, wenn ich kein Netzwerk habe? Wie verhalte ich mich im Bewerbungsgespräch, wenn ich plötzlich gefragt werde, wie ich zu Putin stehe, nur weil ich muttersprachlich russisch kann? Wie verhandle ich ein Gehalt, was meinem akademischen und fachlichen Wert entspricht, wenn mein Verhältnis zu Geld von Mangel und dem Bafög Satz + dauernden Aushilfsjobs geprägt ist. Für diese Fragen und viele mehr wollten ich und meine grandiosen Mitgründerinnen einen sicheren Ort schaffen – und es entstand SWANS.


Du bist auch in der Politik in Leitungsfunktion für das Bündnis 90/ Die Grünen tätig. Welche Themen bewegen Dich dort aktuell?


Mich bewegen in all meinen Lebensdimensionen de facto dieselben Themen: Digitalisierung und Diversity. Mal in der Konzeption und unternehmerischen Umsetzung, mal im Ehrenamt, mal auf der politischen Bühne.

Und ich habe Glück! Zum einen sind es beides sehr breite Querschnittsthemen, sodass mir nicht langweilig werden kann. Zum anderen fangen sie beide mit D an, sodass ich mir ein Slogan basteln konnte: D³ - Digitalisierung, Diversity, Dara.


Die Themen Diversity und Chancengleichheit sind Dir sehr wichtig. Wie beobachtest Du das Thema und die Auseinandersetzung damit im gemeinnützigen Bereich?


Diversity ist Trend. Ich würde sogar behaupten, dass es neben Digitalisierung und Nachhaltigkeit der größte gesellschaftliche Trend dieses Jahrzehnts ist und sein wird.


„In Zeiten von Fachkräftemangel und immer stärkerer Akademisierung der Berufslandschaft können Unternehmen es sich schon jetzt kaum leisten, arbeitendes Potenzial auszuschließen. Das führt jedoch dazu, dass Diversity momentan meist eine Frage der Kommunikation ist. Nach außen bunt, nach innen immer noch hierarchisch, verstaubt und bieder. Das kann nicht funktionieren.“

Pinkwashing – also rein performatives Diversity Management ohne strukturelle Änderungen und einer gelebten inklusiven Arbeitskultur – fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen, wie wir bei jüngsten Skandal z.B. der UEFA in der LGBTQI* Positionierung sehen.

Wir brauchen echten Wandel. In den Strukturen. In den Führungsetagen. In den Köpfen der Entscheider*innen. Deshalb müssen wir eine Debatte über die Bedeutung von Repräsentation führen. Deshalb müsste es uns jeden Tag aufs Neue auf die Straße treiben, dass wir mehr „Thomas“ als Frauen in den DAX Vorständen haben. Nicht zu sprechen von den Fatmas in den Führungsetagen.


Du bist bei all Deinen Tätigkeiten auch geprägt Durch Deine Nationalität: Du bist Russlanddeutsche und ich bin beeindruckt, wie stark Du dich in den Sozialen Medien positionierst, Dich von Putin distanzierst und Dich gleichzeitig gegen eine Stigmatisierung der russischen Bevölkerung einsetzt. Du nimmst an Demos teil und erhebst Deine Stimme vor dem Hintergrund des Angriffskriegs durch Russland – zum Teil erfährst Du dadurch heftige Aggression und Hetze.

Ich zitiere Dich aus einem Frontal Interview:

„Wir dürfen uns als #Russlanddeutsche nicht von den #Putinisten definieren lassen. Wir müssen widersprechen. Ja, auch wenn es unangenehm und anstrengend ist. Schweigen können wir uns nicht (mehr) leisten.“

Wie fühlst Du Dich in dieser schwierigen Situation? Was wünschst Du Dir als nächste Schritte, auch um z.B. hinsichtlich der Anfeindungen deeskalieren zu können? Wie kann der gemeinnützige Bereich dabei unterstützen?


Wir brauchen – wie so oft – den Dialog, die Vernetzung und die gegenseitige Verstärkung. Ich bin bei weitem nicht allein. Der größte Teil der Russlanddeutschen verurteilt den Vernichtungskrieg gegen die Ukrainer*innen. Diese Menschen müssen sichtbar(er) werden. Momentan dominieren die „AfD“- oder „Putin“- Russlanddeutsche die Medienlandschaft. Sie prägen ein Stereotyp, das es faktisch nicht gibt. Dieses Stereotyp wird wiederum von Kremlmedien dazu genutzt, um zu signalisieren, russischsprachige Menschen würden in Deutschland „gemobbt“ werden. Das ist ein Teufelskreis, den nur die Mehrheitsgesellschaft durchbrechen kann. Wir brauchen Sichtbarkeit für Projekte wie ostklick, die politische Bildung auf russisch vermitteln. Wir brauchen Vernetzung zwischen den freiheitlichen Russlanddeutschen. Wir brauchen Orte der Begegnung, die im Gegensatz zum Russischen Haus in Berlin nicht zur Russländischen Botschaft gehören. Wir brauchen eine Identität, die trotz ihrer geschichtlichen Komplexität aus Flucht, Vertreibung und Russifizierung, unabhängig von der heutigen Russischen Föderation, gesehen wird.


„Der Ukrainekrieg, den Russland faktisch seit acht Jahren führt, hat zu einem schweren – wenn nicht sogar unwiederbringlichen – Bruch in der Community der Russlanddeutschen geführt. Jetzt geht es darum, zusammen zu führen, was sich zusammenführen lässt. Aber: auf den Grundfesten unserer freiheitlichen demokratischen Verfassung. Hier braucht es seitens der gemeinnützigen Organisationen Diskursräume und eine Einbindung der beteiligten Akteure. Wir dürfen nicht schon wieder als die „vermeintlich unsichtbaren Migrant*innen“ übersehen werden.“
 

Und zum Schluss – 3 Fragen in je einem Satz:


Welches Buch hast Du bzgl. Ehrenamt/Engagement oder auch den Feldern, in denen Du Dich engagierst, gelesen, das Dich nachhaltig beeindruckt hat?

„Putins People“ von Catherine Belton ist wahrscheinlich zu nerdig für alle, die sich nicht täglich mit dem heutigen Russland auseinandersetzen. Deshalb empfehle ich „Das mangelnde Licht“ von Nino Haratischwili, die wie kaum eine andere die post-sowjetische Seele (sollte es sie geben) zu fassen vermag.


Wenn Du einen Wunsch für den gemeinnützigen Sektor frei hättest, welcher wäre das?

Vernetzung, Vernetzung, Vernetzung. Intersektional, intersektoral, hierarchie- und branchenübergreifend.


Was möchtest Du unseren Leser*innen mit auf den Weg geben? Was ist Dein Credo?

So wie im Vergangenen die Zukunft reift, so glimmt in der Zukunft das Vergangene nach. (entliehen von der großartigsten russischen Dichterin, Anna Achmatova)

 
Carola von Peinen

Dara Kossok-Spieß

Co-Gründerin

SWANS Initiative

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