Wer steckt hinter dieser neuen Rubrik und was möchte sie für einen Mehrwert bieten?
Portraits über Menschen im gemeinnützigen Bereich findet man auch an anderer Stelle. Wir erinnern uns zum Beispiel an die „Köpfe“ in der Stiftungsbeilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit dieser Rubrik „Mensch des Monats“ möchten wir Menschen hinter einer Führungsposition besser kennenlernen. Dafür hat Dr. Anna Punke-Dresen diese Rubrik ins Leben gerufen.
Anna Punke-Dresen ist selbst seit über 15 Jahren in diversen Funktionen und Kontexten sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich im gemeinnützigen Sektor unterwegs - unter anderem als stellvertretende Leiterin des Kreises Junge Menschen und Stiftungen, Community Lead für MentorMe, Vorständin von Hamburger mit Herz e.V. und seit 2023 Leitung Fundraising der Abteilung Engagement & Partnerschaften bei der Hamburger Kunsthalle in Doppelspitze.
Schreiben und gemeinnütziges Engagement sind die beiden Pfeiler, die ihren Werdegang prägen.
Mit dieser monatlichen Rubrik möchte sie einige spannende Personen aus ihrem Netzwerk in persönlichen Gesprächen fragen, wie und warum sie sich selbst im gemeinnützigen Bereich engagieren. Welche Ehrenämter werden zusätzlich zum Hauptamt gepflegt? Was treibt sie dazu an? Was bedeutet Engagement für sie und welche Learnings und Botschaften bringt das für sie mit?
Unser aktueller Mensch des Monats ist Elizaveta Khan aka Lisa, Gründerin und Geschäftsführerin Integrationshaus e.V., Frau und Mutter, geflüchtete Person, Ausländerin und Person of Colour, beruflich politisch und zivilgesellschaftlich im Integrationsrat der Stadt Köln und in der Bürgerstiftung KalkGestalten engagiert.
Liebe Elizaveta Khan, ich möchte in dieser Rubrik jedem*r Interviewpartner*in die gleiche Einstiegsfrage stellen: Wann und wo haben Sie sich zum allerersten Mal ehrenamtlich engagiert? Wie kamen Sie dazu und was war Ihre Motivation dahinter?
Das erste Mal habe ich mich in einer Suppenküche und in einem Kinderheim in Moskau mit 19 Jahren engagiert. Allerdings war meine erste Berührung mit dem Ehrenamt, das Kennenlernen einer Freiwilligen, die mich beim Deutschlernen unterstützt hat. Das ist mir ganz fest in Erinnerung geblieben. Und als ich dann mein Studium der Sozialen Arbeit in Köln angefangen habe, habe ich mich im Auslandsbüro der Hochschule engagiert, und habe dann nach und nach weitere Ehrenämter übernommen. Nun kann ich mir ein leben ohne Ehrenamt gar nicht mehr vorstellen, vor allem aber auch nicht ohne die vielen Engagierten, mit denen ich dann gemeinsam etwas umsetze.
Wie lange arbeiten Sie schon für das Integrationshaus e.V. und was genau reizt Sie an der Arbeit?
Den Verein haben eine Kollegin von mir und ich im Oktober 2010 bei mir im Wohnzimmer gegründet, ich bin also von Anfang an dabei. Und der Reiz nach so vielen Jahren ist weiterhin das tägliche Kennenlernen von Menschen und ihren Geschichten, ihren Gedanken und Perspektiven und die kleinen Schritte, die wir zu einer gerechteren, diskriminierungsfreieren, rassismuskritischeren und demokratischeren Gesellschaft gehen können. Es gibt auch viele Dinge, die nicht funktionieren, Schicksalsschläge im Team und bei den Menschen, die wir begleiten dürfen und ja, die ganze Palette an Lebensmomenten, die das Leben ebenso mit sich bringt. Das InHaus ist voller Leben und voll mit Leben.
Ihr setzt euch ein für eine rassismusfreiere, diversitätssensible und gerechte Welt. Wie packt der Verein das an? Welche Projekte und Netzwerke habt ihr?
Wir engagieren uns auf drei Ebenden, auf der individuellen, der institutionellen und der strukturellen Ebene, denn auch Rassismus und Diskriminierung wirken auf diesen Ebenen.
1. Individuelle Ebene:
Wir beraten Menschen in verschiedenen Lebenssituationen und wenn möglich in
verschiedenen Sprachen. Wir haben das große Geschenk, dass in unserem Team über 15 Sprachen gesprochen werden. Und wir bieten Sprachkurse und andere Programme an, die den Spracherwerb fördern. In den meisten Fällen umfasst unser Angebot auch Kinderbetreuung, und es ist uns wichtig, dass vor allem Frauen* an den Bildungsprogrammen teilnehmen können. Wir arbeiten nach dem Empowerment-Konzept und wollen Menschen ermutigen, ihren eigenen Lebensweg zu bestimmen.
2. Institutionelle Ebene:
Wir setzen verschiedene bildungspolitische Angebote um, führen Workshops durch,
schreiben Handreichungen für Praktiker:innen und beteiligen uns an verschiedenen
Arbeitsgruppen. Darüber hinaus sind wir Kooperationspartner in verschiedenen
Projekten und Netzwerkpartner in verschiedenen Allianzen. Wir unterstützen
insbesondere nicht-formale Initiativen, um den Zugang zu Ressourcen, insbesondere
für junge Menschen, zu erleichtern.
3. Strukturelle Ebene:
Wir verstehen uns als zivilgesellschaftliche Akteure, die mit unterschiedlichen
Methoden und Ansätzen versuchen, diese Lebenswirklichkeiten für die Öffentlichkeit
sichtbarer zu machen. Mit unserem Arbeitsbereich "InHaus-Media" erarbeiten wir
verschiedene Produkte für die Öffentlichkeitsarbeit mit rassismuskritischem Blick, weil wir es für wichtig halten, für uns selbst zu sprechen und uns selbst darzustellen.
Außerdem sind wir in verschiedenen politischen Gremien aktiv und werben für die
Demokratisierung des Abendlandes.
Wir sind im Netzwerk der Neuen Deutschen Organisationen aktiv, beim Runden Tisch für Integration in Köln und bei den Interkulturellen Zentren der Stadt Köln. Und es gibt verschiedene Arbeitsgruppen und Netzwerke, bei denen wir uns mit verschiedenen Projekten und Aktionen einbringen.
Was habt ihr seit der Gründung geschafft und welche Ziele habt ihr für die nächsten Jahre?
Uff, geschafft haben wir, dass wir ohne strukturelle Förderung bis heute noch aktiv sind, unser Team und unsere Arbeitsbereiche erweitern konnten und nicht aufgegeben haben. Unser wichtigster Erfolg: Wir haben Hoffnung, wir geben nicht auf, wir arbeiten täglich mit und für Menschen, die Unterstützung benötigen, und wir schaffen es weiterhin, in jeder einzelnen Person ein Individuum zu sehen und begegnen Menschen mit Respekt und der Achtung ihrer Würde. Unser Ziel für die nächsten Jahre ist es, beständig zu bleiben und zu bestehen. Denn wir sind schon auch ziemlich müde von dem Kampf gegen Ungerechtigkeiten und von dem Kampf gegen Haushaltseinsparungen, Fördergelder und der ganzen Bürokratie.
Was sind für Sie die dringendsten Herausforderungen?
Der wichtigste Schritt ist es, die Ungerechtigkeiten zu sehen und die Strukturen dahinter transparent zu machen. Denn Armut, Ungerechtigkeiten, fehlende Teilhabechancen sind nicht individuell verursacht, sondern werden gemacht. Letzte Woche habe ich gelesen: „Mieten steigen nicht, sie werden erhöht“, das fand ich beachtlich, denn das macht genau das deutlich: Wir schaffen unfaire Lebensbedingungen. Also, lass uns doch auch mal faire Lebensbedingungen schaffen. [Anna Punk1]
Wir müssen mehr in den Fokus stellen, an welchen Stellschrauben wer drehen muss. Ansich ist das klar, es gibt zahlreiche Untersuchungen und Forderungen dazu, aber es fehlt die Lobby. Und Lobbyarbeit ist der zweite Schritt. Wir stellen Diskriminierungserfahrungen nicht in Frage, das ist für die Personen, die negativ von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, sehr wichtig. Und wir schaffen Raum für die verschiedenen Perspektiven, für den Austausch über Schmerz und Trauer, aber auch über Widerstand und Power. Und das in Form von der Unterstützung von selbstorganisierten Initiativen und Projekten, die in Eigenregie umgesetzt werden. Um es zusammenzufassen: Vertrauen und Solidarität können dazu beitragen, dass Menschen Mut fassen.
Wie beobachten Sie die Auseinandersetzung mit den Themen Vielfalt und Vielfältigkeit im gemeinnützigen Bereich? Wie kann der gemeinnützige Bereich dabei unterstützen?
Die Auseinandersetzungen sind den Diskussionen in unserer Gesellschaft sehr ähnlich. Geht es um persönliche Einstellungen und Haltungen, gibt es viele Fort- und Weiterbildungen, wo der Fokus in den meisten Fällen um die 1:1 Beziehungen geht. Erst langsam schauen sich Institutionen auch ihre Strukturen an, die Teamzusammensetzungen, in den Strukturen angelegte Diskriminierungen etc. Und auf der Hierarchieebene oben bleibt es leider nur bei Bekenntnissen zur Vielfalt, aber tatsächliche strukturelle Veränderungen bleiben aus. Denn letztendlich geht es bei Vielfältigkeit auch ums Teilen. Und das Teilen bezieht sich nicht nur auf Ressourcen und Zugänge, sondern auch auf das Teilen von Wissens- und Deutungsmacht. Teilen ist schwer. Da sind wir noch ganz am Anfang, da nehme ich uns als Integrationshaus e.V. auch nicht aus, wir lernen gerade vor allem zu verlernen, um Platz zu schaffen, für neue bzw. alte Erkenntnisse, die noch zu wenig Raum haben.
Der gemeinnützige Bereich kann unterstützen, indem hier Räume für Austausch geschaffen werden. Es müssen nicht immer die Podiumsdiskussionen und der fachliche Austausch sein. Denn oft übersehen wir: Wir leben ja schon immer vielfältig und schauen mit unterschiedlichen Perspektiven auf unsere Gesellschaft. Dafür braucht es nicht erst die „Anderen“ nicht. Der Fokus auf die Normalität der Diversität, der Fokus auf das, was funktioniert, und nicht immer nur auf das, was schlecht läuft, und das Einstehen für die Vielfalt unserer Gesellschaft, und das laut und beständig, das ist die Unterstützung, die ich mir vom gemeinnützigen Bereich wünsche. Ein anderer Wunsch wäre das Teilen der Ressourcen, denn wir als migrantische Organisation können immer nur von Projekt zu Projekt überleben, die strukturellen Förderungen sind schon vergeben. Das kann und wird ein schmerzhaftes Teilen werden, aber darüber müssen wir verhandeln.
Und zum Schluss: Drei Antworten in je einem Satz!
Welches Buch haben Sie bezüglich Ehrenamt oder Engagement gelesen, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?
Das ist ein schwere Frage - ich liebe Bücher, meine Regel seit einiger Jahren lautet: Nur mit einem neuen Buch aus einem Buchladen gehen. In meinem anderen Leben hätte ich gerne einen Buchladen.
Aber zurück zur Frage: Diese drei fallen mir auf Anhieb ein, sie haben mich in jedem Fall beeindruckt und zum Nachdenken gebracht, und mir auch Hoffnung gegeben:
- Ein Garten im Norden von Michael Kleeberg
- Heimkehren von Yaa Gyasi
- Schiffbruch vor Lampedusa von Davide Enia!
Wenn Sie einen Wunsch für den gemeinnützigen Sektor frei hätten, welcher wäre das?
Ich wünsche mir, dass Vorhaben zur Bildung und Demokratie nicht mehr als Projekte organisiert werden müssen, sondern dass sie verstetigt und strukturell so ausgestattet werden, damit sie zum Kanon der ständigen Arbeitsbereiche im gemeinnützigen Sektor werden. Und das für alle Generationen und Zielgruppen.
Was möchten Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg geben? Was ist Ihr Credo?
Jeder Mensch ist ein Welt, und alles fließt: Dranbleiben und Loslassen gehen Hand in Hand.
Elizaveta Khan
Geschäftsführerin
Integrationshaus e.V.
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