Wer steckt hinter dieser neuen Rubrik und was möchte sie für einen Mehrwert bieten?
Portraits über Menschen im gemeinnützigen Bereich findet man auch an anderer Stelle. Wir erinnern uns zum Beispiel an die „Köpfe“ in der Stiftungsbeilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit dieser Rubrik „Mensch des Monats“ möchten wir Menschen hinter einer Führungsposition besser kennenlernen. Dafür hat Dr. Anna Punke-Dresen diese Rubrik ins Leben gerufen.
Anna Punke-Dresen ist selbst seit über 15 Jahren in diversen Funktionen und Kontexten sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich im gemeinnützigen Sektor unterwegs - unter anderem als stellvertretende Leiterin des Kreises Junge Menschen und Stiftungen, Community Lead für MentorMe, Vorständin von Hamburger mit Herz e.V. und aktuell als Leitung Fundraising der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch.
Schreiben und gemeinnütziges Engagement sind die beiden Pfeiler, die ihren Werdegang prägen.
Mit dieser monatlichen Rubrik möchte sie einige spannende Personen aus ihrem Netzwerk in persönlichen Gesprächen fragen, wie und warum sie sich selbst im gemeinnützigen Bereich engagieren. Welche Ehrenämter werden zusätzlich zum Hauptamt gepflegt? Was treibt sie dazu an? Was bedeutet Engagement für sie und welche Learnings und Botschaften bringt das für sie mit?
Susanne Stephani ist Vorstandsvorsitzende des Vereins Women in Arts and Media e. V. (WAM) und als Stiftungs- und Kulturmanagerin tätig: seit 2009 verantwortet sie die Förderung der Darstellenden Kunst (Leitung) und Bildenden Kunst (Co-Leitung) der Studienstiftung des deutschen Volkes. Seit 2017 unterrichtet sie am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Liebe Susanne, ich möchte in dieser Rubrik jedem*r Interviewpartner*in die gleiche Einstiegsfrage stellen: Wann und wo hast Du Dich zum allerersten Mal ehrenamtlich engagiert? Wie kamst Du dazu und was war Deine Motivation dahinter?
Ich muss sieben Jahre alt gewesen sein. Wir Kinder aus unserer Straße haben eine Naturbande gegründet. Unser Engagement zeigte sich darin, dass wir den Müll im Wald gesammelt und gegen die Verschmutzung der Umwelt demonstriert haben. Dabei haben wir Unterschriften gesammelt und dem Bürgermeister in seiner Sprechstunde vorgelegt. Unser Engagement fand Gehör und Sichtbarkeit, ein Zeitungsartikel ist über unsere Aktion erschienen, weitere Aktionen folgten. Auf diesen ersten Erfolg haben wir eine Disco auf dem Spielplatz veranstaltet – um 17 Uhr mit Musik und Limo. Gemeinsam etwas erreichen zu können, andere zu begeistern und die Gemeinschaft zu feiern – dies sind sicherlich Treiber meines Engagements seitdem.
Du hast vor gut einem Jahr den Verein Women in Arts and Media e. V. mit gegründet, der inzwischen viel Aufmerksamkeit erfährt, und bist stark engagiert im Vorstand. WAM ist ein interdisziplinäres, branchen- und spartenübergreifendes Netzwerk für Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien. Was waren die Beweggründe dafür?
Wir wissen, wie dringlich es ist, endlich zu mehr Geschlechtergerechtigkeit zu kommen. Trotzdem tut sich zu wenig. Wir haben kein Analyseproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.
Bekannt ist: Der Gender-Pay Gap liegt gesamtgesellschaftlich bei 18 Prozent. In der Kultur ist es noch dramatischer: Da liegt er bei dreißig Prozent.
Bekannt ist auch der Gender-Show Gap, dies bedeutet, dass weniger Frauen im Film repräsentiert werden – insbesondere Frauen über 30 Jahren finden sich viel seltener in Filmen wieder als gleichalte Männer. Das gilt auch für die Rollenbesetzungen am Theater, die Repräsentation von Kompositionen von Frauen im Konzertsaal oder die Preise, die auf dem Kunstmarkt für Werke von Künstlerinnen aufgerufen werden.
Dazu kommt der Gender-Pension Gap — denn viele dieser Entwicklungen befördern die Altersarmut von Künstler*innen.
Der Deutsche Kulturrat hat 2016 mit einer umfassenden Studie Zahlen vorgelegt, fünf Jahre später dann einen Forderungskatalog. Ganz klar: Die Veränderung geht zu langsam voran, in der Pandemie ist die Entwicklung sogar rückschrittig gewesen — die Soziologin Jutta Allmendinger spricht von einer »Retraditionalisierung von Rollenbildern«.
Also nochmal: Wir haben kein Analyseproblem, sondern ein Umsetzungsproblem — hier helfen Wissenstransfer und die Zusammenarbeit in und mit Netzwerken, die ähnliche Ziele verfolgen. Mit WAM arbeiten wir an ganz konkreten Veränderungen: durch Empowerment, durch Informationen und politische Sichtbarkeit. Unsere Generation steht jetzt in der Pflicht: Wir müssen das Erreichte sichtbar machen, dürfen keine Rückschritte zulassen — und haben hier eine Verantwortung für die nächsten Generationen.
Was ist Eure Vision? Und was habt ihr bisher erreicht?
Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren nachhaltig zur Geschlechtergerechtigkeit beizutragen. Das erreicht WAM auf vier Wegen.
Erstens Vernetzung: Mit 40 Frauen, die fortgeschritten im Beruf sind, haben wir den Verein gegründet, um eine nachhaltige Struktur zu schaffen. Darunter sind Künstler*innen, Dramaturg*innen, Verwaltungsleiter*innen, Leiter*innen von Museen und Theatern aber auch Unternehmer*innen. Nach einem Jahr sind wir auf 200 Mitglieder angewachsen und haben mit über 700 Follower*innen auf Instagram regen Dialog. In den sieben regionalen Foren findet persönlicher Austausch statt und in Arbeitskreisen werden fokussiert überregional und spartenübergreifend Themen bearbeitet.
Zweitens Empowerment: Wir konnten bereits im ersten Jahr mit einem Mentoringprogramm und 15 Mentees starten. Daran anschließend werden wir für unsere Mitglieder Peer-to-Peer-Mentoring und Formate der Kollegialen Fallberatung in analogen und digitalen Formaten anbieten. Im Juni 2022 waren wir Kooperationspartnerin der Tagung „Frauen in Führung“ des Deutschen Kulturrats mit 250 Teilnehmer*innen in Berlin. Für 2023 ist es wichtig, den Austausch unter den Mitgliedern weiter zu stärken. Ein Höhepunkt wird unsere Jahrestagung vom 16.-18. Juni in Hamburg sein.
Drittens öffentliche Sichtbarkeit: Unser sparten- und branchenübergreifender Ansatz soll Forderungen bündeln, so dass wir gemeinsam politisch etwas bewegen können. Die Geschlechtergerechtigkeit ist eines der Ziele für nachhaltige Entwicklung und die Bundesregierung hat sich bis 2030 klare Ziele gesetzt, wie z.B. die Verdienstunterschiede zu beseitigen. Wie können wir als gesellschaftliche Akteure den Prozess vorantreiben und zur Veränderung beitragen? Wir zeigen Best-Practice-Beispiele für zeitgemäße Arbeits- und Führungsmodelle. Damit möchten wir Öffnungsprozesse anstoßen, um z.B. die Vereinbarkeit von Care-Arbeit und beruflichen Zielen zu ermöglichen. Für einen strukturellen Wandel müssen gemeinsam mit dem Wissen aus der Praxis in enger Abstimmung mit der Politik, die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Nur so werden gleiche Zugangschancen für Frauen zu Führungspositionen bindend und keine freiwilligen Leistungen.
Viertens nachhaltiger Aufbau unserer Strukturen: Ein großes und wichtiges Ziel für uns als Verein ist es, eine Geschäftsstelle zu etablieren. Hierzu suchen wir noch Förder*innen und weitere Mitwirkende.
Bei all dem legen wir einen besonderen Fokus auf Frauen in ihrer Diversität. Allen Frauen, unabhängig von ihrer Herkunft, soll eine aktive Rolle in der Gestaltung der Zukunft im Kultur- und Mediensektor möglich sein.
Was bedeutet Geschlechtergerechtigkeit im Kulturbereich für Dich?
Vorab: Wir blicken auf eine lange und großartige Tradition von engagierten Menschen in allen Sparten der Kultur: von gedok und Saloon in der Bildenden Kunst, über die proquote-Film, proquote-Bühne bis proquote-Regie, sowie jüngere Initiativen wie im Theaterbereich das Ensemble Netzwerk, die zum Thema Gage und Probenzeiten, Arbeitsbedingungen viel erreicht haben. Ich bin auch gespannt auf die neue Publikation der queer-feministischen Initiative „And She was like BÄM“ zum Thema Arbeit. Denn wenn wir über Arbeit sprechen, sollten wir über Erwerbsarbeit und über Anerkennung von Care-Arbeit sprechen. Was bedeutet dies für den Wert von künstlerischer Arbeit? Bei Künstler*innen, die in der Pandemie wie viele andere Eltern unbezahlte Schul- und Betreuungsarbeit geleistet haben, sollte dies nicht als Lücken im Lebenslauf angesehen werden — sondern wir vielmehr darüber sprechen, wie eine Wiedereinstiegsförderung für die Konzeption neuer Projekte aussehen kann.
Der Kulturbereich vermag es, einzigartige künstlerische Erfahrungen zu ermöglichen. Ich träume davon, dass wir die Kreativität und den Tatendrang, den wir in künstlerische Produktionen setzen, auch in den Arbeitsstrukturen wiederfinden. Dass nicht die gesellschaftspolitischen Stoffe auf der Bühne verhandelt werden, wir hinter der Bühne aber für gleiche Bezahlung kämpfen müssen. Ich träume von einem Kulturbereich, in dem ich divers zusammengesetzte Leitungsebenen sehe. Dass es selbstverständlich ist, dass Spielpläne und Ausstellungsprogramme viel mehr Perspektiven unserer Gesellschaft repräsentieren. Das bedeutet auch zeitgemäße Arbeitszeitmodelle und hybride Angebote.
Uns verbindet auch unsere Lehrtätigkeit am Institut für Kulturmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg zu den Themen Kulturfinanzierung und Kulturförderung. Welche Themen beschäftigen Dich in diesem Kontext zurzeit? Der Kulturbereich war durch Corona noch stärker gebeutelt als bisher, welche Herausforderungen und Lösungsansätze siehst Du?
Der Ausgangspunkt für uns, in die Lehre zu starten, war es, unsere Erfahrungen aus der Kulturförderung mit den Studierenden zu teilen und kritisch zu hinterfragen. Wir wollten Türen öffnen in einem Bereich, der durch viele Codes und internes Wissen geprägt ist und gleichzeitig aktuelle Diskurse mit einbinden und durch den Austausch mit den Studierenden voranbringen. In den Inputs zu Strukturen im Kulturföderalismus, Rollen von privaten Förderern, dem Akteur*innengeflecht der Kulturförderung und Förderarchitektur haben wir Fragen zu Werten, die sich damit verbinden, integriert.
Wie können Förderstrukturen Diversitätskriterien direkt mitdenken? Welche Rolle spielen Themen wie Erinnerungskultur in einer zeitgenössischen Kulturförderung und -produktion?
Für mich besteht hier auch ein Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis. Thesen, die wir mit den Studierenden diskutiert haben, fließen für mich wieder in meine Tätigkeit ein. Wie zugänglich ist der Kulturbetrieb? Das hat mich stark als Jurymitglied von Neustart-Kultur, dem staatlichen Coronahilfsprogramm im Bereich Kultur, beschäftigt. Als Jury für die Förderung Soloselbstständiger im Tanz haben wir einen besonderen Fokus darauf gelegt, in allen Tanzbereichen zu fördern und dabei auch Gruppen in den Blick zu nehmen, denen in den klassischen Förderbereichen Barrieren begegnen. So konnten wir Projekte der urbanen Tanzpraxis fördern und haben einen Fokus auf Künstler*innen mit Behinderung gelegt.
Wie sieht dies konkret aus? Kannst Du aus Eurem Prozess Erfahrungen und Best Practice Beispiele teilen?
Gerade bei Bewerbungsverfahren sollten Barrieren abgebaut werden: Ausschreibungstexte sollten verständlich formuliert und auch in leichter Sprache verfügbar sein. Inforunden zu Zoom öffnen das Verfahren und machen die Informationen zugänglich. Ziel sollte es auch sein, Informationen in Deutscher Gebärdensprache (DGS) oder via Audio zur Verfügung zu stellen. Das schriftliche Antragsverfahren sollte ergänzt werden: Antragstellung als DGSVideo, als Audiodatei oder in einem anderen alternativen Format. Daher hat der Dachverband Tanz, der die Vergabe des Neustartprogramm Dis-Tanzen verantwortet hat, mit Unterstützung von Akteur*innen aus der Szene ein barrierearmes Antragsformular und telefonische Beratung zur Verfügung gestellt. Und wir haben sehr gute Erfahrungen mit Videobewerbungen als Ergänzung zur Projektbeschreibung gemacht.
Wichtig war auch uns als Jurymitglieder für die Bereiche Inklusion, Barrierefreiheit und Ableismus zu sensibilisieren. Das Projektbüro war hier ein wichtiger Ansprechpartner und die Materialien von Diversity Arts Culture. Interessant ist zum Beispiel der Access Rider.
Wir arbeiten gerade daran unsere Erfahrungen zu verschriftlichen. Empfehlenswert ist dazu auch die bereits erschienene sehr umfangreiche Publikation des Fonds Darstellende Künste mit Checklisten und Reflexionen zu Vergabeverfahren. Diese Punkte zeigen auch, dass wir aus der pandemischen Förderarbeit wichtige Erkenntnisse mitnehmen können.
Ich denke, dass wir gerade in dieser digitalisierten Welt den persönlichen Kontakt mit schon aktiven Unterstützenden nicht abreißen lassen sollten. Der persönliche Austausch ist aus meiner Sicht heute noch das wichtigste Bindungstool.
Und zum Schluss: Wie ist Dein Blick in diesem Kontext auf den gemeinnützigen Bereich? Welche Rolle spielt der gemeinnützige Sektor für den Kulturbereich und was könnte da noch besser laufen?
Der gemeinnützige Bereich ist für Kulturakteur*innen und Kulturinstitutionen ein wichtiger Förderer und Dialogpartner. Stiftungen können Pioniere sein, Neues ausprobieren und auch dauerhaft Maßstäbe setzen. Erst wenn wir die, auch ganz praktischen, Rahmenbedingungen schaffen, ist Teilhabe möglich und damit ein Diskurs, der viele Perspektiven mit einschließt – ein Gespräch mit und nicht über gesellschaftliche Gruppen.
Entscheidend ist in den gemeinsamen Prozessen Diversitätskriterien direkt mitzudenken - das beginnt bei der Besetzung von Podien, Gremien und Jurys. Bei der Veranstaltungskonzeption muss man die Uhrzeit und den Ablauf hinterfragen – warum findet so vieles um 19 Uhr statt, kann die Veranstaltung nicht auch um 15 Uhr und mit Kinderbetreuung stattfinden? Kann es zwei Teile geben oder habe ich einen Stillraum mit Videoübertragung? Sind hybride Formate oder auch Veranstaltungsteile via Zoom möglich? In Ausschreibungen kann bereits transparent machen, ob für Projektförderung Kinderbetreuung beantragt werden kann? Der gemeinnützige Sektor muss hier Vorreiter sein - und kann es auch.
Und zum Schluss – 3 Fragen in je einem Satz:
Welches Buch hast Du bzgl. Ehrenamt/ Engagement oder auch den Feldern, in denen Du dich engagierst, gelesen, das Dich nachhaltig beeindruckt hat?
Da gibt es einige zu nennen: ob aus wissenschaftlicher Sicht Jutta Allmendingers Buch „Es geht nur gemeinsam!“ und auch gesellschaftliche Positionen wie Caroline Criado-Perez (Unsichtbare Frauen), Olaolu Fajembola & Tebogo Nimindé-Dundadengar (Gib mir mal die Hautfarbe), Caroline Kebekus (Es kann nur eine geben), Tupoka Ogette (Und jetzt Du. und Alexandra Zykunov (Wir sind doch alle längst gleichberechtigt).
Wenn Du einen Wunsch für den gemeinnützigen Sektor frei hätten, welcher wäre das?
Mehr Kooperationen, mehr Diversität, mehr Mut.
Was möchtest Du unseren Leser*innen mit auf den Weg geben? Was ist Dein Credo?
Begegnungsräume und Austausch sind wichtig und gehen damit einher, dass wir immer neu die Bereitschaft zum Dialog haben. Dazu gehört auch die Frage: Wie können wir uns gegenseitig unterstützen und auch jüngere Stimmen, von denen wir viel wechselseitig lernen können, empowern und Raum geben.
Daher: Danke fürs Lesen bis hierhin und ich freue mich über Begegnung und Austausch!
Susanne Stephani
Vorstandsvorsitzende
Women in Arts and Media e. V. (WAM)
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