Von Jörg Reschke

In dieser Rubrik erzählt unser Partner Jörg Reschke, bekannt als Digital Fundraising Experte, von Digitalisierung für gemeinnützige Organisationen. Er ist Autor des Buches "Online-Fundraising" und begleitet seit zwei Jahrzehnten Nonprofit-Organisationen bei digitalen Kommunikationsstrategien.
Foto: privat
2024 war ein Jahr, das den Hype um Künstliche Intelligenz auf ein neues Level katapultiert hat. Von ChatGPT bis zu den bahnbrechenden Entwicklungen in Chatbots, Predictive Analytics und KI-generierter Content-Erstellung – die technologische Landschaft hat sich rasant verändert. Für Nonprofit-Organisationen bedeutet das eine enorme Chance, ihre Arbeit effizienter zu gestalten, ihre Reichweite zu erhöhen und Spender:innen gezielter anzusprechen.
Doch während der Hype um KI nicht zu übersehen ist, stellt sich die Frage: Welche tatsächlichen Veränderungen bringt uns diese Technologie auf kurze und mittlere Sicht? In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf die kommenden Trends, die die Art und Weise, wie NGOs arbeiten, nachhaltig verändern könnten – und wie wichtig es ist, sich frühzeitig mit diesen Entwicklungen auseinanderzusetzen.
KI-Anwendungskompetenz in NGOs steigt
Bislang war der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in NGOs oft Expertenwissen vorbehalten oder beruhte auf oberflächlichem Ausprobieren. Doch 2025 verändert sich das: Dankindividuell trainierbaren KI-Modelle (GPTs) können Fundraiser:innen, Marketer und Entscheidungsträger:innen eigene, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene KI-Assistenten nutzen. Diese digitalen Sparringspartner lassen sich beispielsweise auf bestimmte Spender-Personas trainieren. So können Fundraiser:innen mit einer KI interagieren, die sich wie eine typische Großspenderin oder ein jüngerer Dauerspender verhält, um Ansprachen zu testen oder Kommunikationsstrategien zu verbessern.
Diese Entwicklung steigert die Anwendungskompetenz in NGOs erheblich. Fundraiser:innen spielen ihre Kampagnen mit KI durch, bevor sie live gehen. Marketing-Teams erhalten datenbasierte Empfehlungen für ihre Kommunikationsstrategien, während Führungskräfte mit KI-gestützten Analysen bessere Entscheidungen treffen. Dadurch wird KI nicht mehr nur ein abstraktes Tool, sondern ein alltäglicher Begleiter in der strategischen und operativen Arbeit von NGOs.
Vervielfachter Content-Output – ohne die Zielgruppe zu überfordern
Die Content-Erstellung in NGOs verändert sich 2025 grundlegend. Anstatt einen einzelnen Spendenaufruf oder Blogbeitrag zu erstellen, generieren KI-gestützte Tools automatisch zahlreiche Varianten desselben Inhalts – als Text, Video, Podcast oder Bild, maßgeschneidert für unterschiedliche Zielgruppen. So kann eine Geschichte über ein Hilfsprojekt für Social Media als emotionales Video, für eine E-Mail-Kampagne als persönlicher Brief und für eine junge Zielgruppe als Kurzvideo auf TikTok aufbereitet werden.
Das bedeutet aber nicht zwangsläufig mehr Content für die einzelne Nutzer:in, sondern eine intelligentere Personalisierung und effizientere Verbreitung. KI analysiert, welche Inhalte für welche Zielgruppen am besten funktionieren, und spielt die passendste Version gezielt aus. So erreichen NGOs mit weniger manuellem Aufwand genau die richtigen Menschen auf den richtigen Kanälen – und steigern gleichzeitig die Wirkung ihrer Botschaften.
KI-Agents kill the Donor Journey
Stellen Sie sich eine KI vor, die nicht nur Fragen beantwortet, sondern aktiv mit Unterstützer:innen interagiert, lernt und selbstständig Entscheidungen trifft – das ist ein KI-Agent. Im Gegensatz zu klassischen Chatbots, die nur auf vorgegebene Befehle reagieren, können KI-Agenten individuelle Gespräche führen, Spendenaufrufe optimieren und sich an die Bedürfnisse der Spender:innen anpassen. Sie analysieren Daten in Echtzeit, erkennen Vorlieben und Gewohnheiten und gestalten den gesamten Spendenprozess automatisch – für jede Person individuell. Eine feste Donor Journey – also den klassisch geplanten Weg vom Erstkontakt bis zur Spende hat sich überlebt.
Das verändert das Fundraising grundlegend. Hyperpersonalisierung in diesem Zusammenhang bedeutet, dass KI-Agenten vorhersagen und testen, wann und wie sie Spender:innen am besten ansprechen – sei es per E-Mail, Social Media oder gar per Sprachnachricht. Mithilfe von Predictive Analytics können sie sogar voraussagen, welche Unterstützer:innen bereit für eine größere Spende sind oder drohen abzuspringen. Damit lösen sich traditionelle, starre Spendenkampagnen immer mehr auf – denn KI kann viel flexibler reagieren als jede zuvor erstellte Fundraising-Strategie.
Testen, bevor wir live gehen – KI macht’s möglich
Wir müssen nicht mehr warten, bis eine Kampagne veröffentlicht ist, um zu wissen, wie sie bei der Zielgruppe ankommen mag. KI-gestützte Testing-Tools ermöglichen es, Inhalte schon im Voraus zu analysieren und zu optimieren. Sentiment-Analysen bewerten automatisch die emotionale Wirkung von Texten, Social Listening-Tools erkennen frühzeitig Trends und potenzielle Reaktionen in der Zielgruppe. Damit können Fundraiser:innen und Marketer:innen Anpassungen vornehmen, bevor eine Botschaft live geht – und so vermeiden, dass wichtige Inhalte übersehen oder missverstanden werden.
Noch einen Schritt weiter geht die Nutzung von Digitalen Zwillingen. Dabei simuliert KI das Verhalten und die Reaktionen verschiedener Spender:innen-Typen auf neue Inhalte, basierend auf umfangreichen Datenanalysen. In Kombination mit Predictive Analytics lassen sich so Kampagnen im großen Maßstab testen und optimieren, bevor sie reale Nutzer:innen erreichen. NGOs können dadurch treffsicherer entscheiden, welche Inhalte tatsächlich Wirkung entfalten – und Ressourcen gezielter einsetzen.
Chatbots erweitern den Spendenservice – auf allen Kanälen
Wir werden sehen, dass KI-basierte Chatbots von ersten Organisationen in die direkte Kommunikation mit Spender:innen einbezogen werden – und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Während in normalen Bürozeiten oft ein:e Support-Mitarbeiter:in für Anfragen zur Verfügung steht, sind Chatbots ideal, um außerhalb der regulären Erreichbarkeit oder während Spitzenzeiten (z. B. während Spendenaktionen oder Krisensituationen) schnell und effizient zu antworten. Sie können Fragen zu Spendenmöglichkeiten beantworten, Spendenaktionen vorstellen oder auch direkt über Messenger-Apps wie Facebook oder WhatsApp kommunizieren, wodurch Spender:innen auf ihren bevorzugten Plattformen direkt angesprochen werden.
Aber die KI kann auch mehr als nur einfache Anfragen beantworten. Sie bereitet die Kommunikation vor, indem sie Informationen sammelt, personalisierte Nachrichten erstellt und gezielt weiterleitet – sodass Fundraiser:innen sofort mit den wichtigsten Informationen arbeiten können, sobald sie verfügbar sind. Dadurch wird der Spendenservice effizienter und die Antwortzeit für Spender:innen minimiert, was das Spenden-Erlebnis insgesamt verbessert.
Ethische Auseinandersetzung
Mit der zunehmenden Nutzung von KI in NGOs wächst auch die Verantwortung, sie ethisch und verantwortungsvoll einzusetzen. 2025 stehen viele Organisationen vor der Frage: Wie stellen wir sicher, dass unsere KI fair, transparent und im Sinne unserer Werte agiert? Um Risiken wie Datenschutzverletzungen, algorithmische Verzerrungen (Bias) oder eine zu starke Automatisierung sensibler Entscheidungen zu vermeiden, braucht es klare interne Rahmenbedingungen. Dazu gehören rechtliche Leitlinien, Selbstverpflichtungen und definierte Grenzen für den KI-Einsatz.
Wir werden sehen, dass immer mehr NGOs Ethik-Richtlinien für KI entwickeln und auf Transparenz setzen, indem sie offenlegen, wo und wie KI genutzt wird. Zudem entstehen Gremien oder Arbeitsgruppen, die KI-Anwendungen regelmäßig überprüfen. Besonders wichtig ist dabei die Schulung der Mitarbeitenden, damit sie die Funktionsweise und Grenzen der Technologie verstehen und verantwortungsvoll damit umgehen.
Fazit
Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz im Nonprofit-Sektor verspricht 2025 viele spannende Veränderungen für das Fundraising und die Kommunikationsarbeit von NGOs allgemein. Diese Trends zeigen die Richtung, in die sich der Nonprofit-Sektor durch den Einsatz von KI entwickeln könnte. Doch wie wir aus der Geschichte wissen, sind solche Prognosen mit Unsicherheiten behaftet. Die technologische Entwicklung kann sich schneller oder langsamer vollziehen als erwartet, und es ist ebenso möglich, dass neue, unerwartete Innovationen den Markt in eine andere Richtung treiben. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Trends konkret auswirken und welche Veränderungen 2025 wirklich umsetzbar sind. Eines ist jedoch sicher: Die Entwicklung von KI in der Nonprofit-Welt wird spannend bleiben und Organisationen vor neue Chancen und Herausforderungen stellen.
Bei inhaltlichen Fragen zu Digitalisierung im Nonprofit-Sektor erreichen Sie Jörg Reschke unter joerg.reschke@capgemini.com.

Jörg Reschke
Business Analyst und NGO-Experte
Comments